Ob das am Ende tatsächlich ein Ruhestand im wahrsten Wortsinn wird, darf in diesem Fall bezweifelt werden. Nahezu 17 Jahre leitete Oberstudiendirektor Jürgen Scheuermann nun die Geschicke des traditionsreichen Karl-Rehbein-Gymnasiums. Coronabedingt ohne den „großen Bahnhof“ wird der 65-jährige Schulleiter Ende Januar in den Ruhestand verabschiedet – ein Abschied von seiner Rehbein, den er sich so nie gewünscht hat und den er sich auch in dieser Form gewiss nicht verdient hat.
Denn Jürgen Scheuermann war und ist immer mittendrin im Geschehen. Einer, der für seine Schule brennt mit ganzem Herzen. Nicht selten streift er durch „seine“ Schule, erkundigt sich nach dem Befinden seiner Schülerinnen und Schüler. Elterngespräche finden mitunter auch in aller Früh um 6 Uhr morgens statt. Bis tief in die Nacht brennt noch Licht in seinem Büro. In den Pausen sucht er das Gespräch mit Kolleginnen oder Kollegen. Hört zu, gibt Ratschläge, spricht Mut zu oder plaudert einfach mal so drauf los. Immer für jeden präsent und ansprechbar, immer ein offenes Ohr habend für die Anliegen, Sorgen und Nöte seiner Schüler, Eltern und seines Kollegiums. Und das alles immer auch auf Augenhöhe. Das ist in der Summe das, was Jürgen Scheuermanns fast zwei Jahrzehnte andauernde Leitung der über 175 Jahre alten Schule ausmacht.
Geschätzt wird er von seinem schulischen Umfeld für sein großes Herz, seine Empathie, seine gesunde Portion Humor, aber auch seine Standhaftigkeit, sein Durchsetzungsvermögen und für seine, wenn nötig, klaren Worte. In der Summe ein Nährboden für eine überaus gedeihliche Entwicklung der alt-ehrwürdigen Lehranstalt im Herzen der Stadt. Und wenn Jürgen Scheuermann sich nun in den Ruhestand verabschiedet, dann kann er das durchaus mit Stolz und Zufriedenheit tun. Denn er hat zweifelsohne einen Löwen-Anteil daran, die Schule zu dem gemacht zu haben, so wie sie sich heute darstellt: Als das größte Gymnasium in Hessen, das weltoffen, international und vernetzt mit diversen Hochschulen aufgestellt ist, individuelle Neigungen seiner Schülerschaft fördert und von Grund auf modernisiert worden ist.
In Heidelberg studiert der gebürtige Tauberbischofsheimer zunächst Mathematik und Geschichte für Lehramt. In Böblingen nahe Stuttgart tritt er seine erste Lehrerstelle an, bevor ihn der Gott Amor nach Hanau treibt. Zusammen mit seiner Frau Christine residiert er fortan in Kesselstadt. Für die kommenden 15 Jahre arbeitet er als Lehrer an der Leibnizschule in Offenbach, danach wechselt er als stellvertretender Schulleiter an das Oberstufengymnasium in Rodgau-Dudenhofen. Drei Jahre später, 2004, bietet man ihm schließlich die Leitung der KRS an. Scheuermann kennt die Schule, besuchen doch seine beiden Kinder, Sohn Christopher und Tochter Julia, die KRS zu dieser Zeit.
Im Jahr 2004 übernimmt er mit familiärem Segen das Ruder an der KRS. „Mein Schwiegervater hat mir damals als Bauexperte empfohlen, die Schule abzureißen. Wenn du sie sanierst, dann dauert das bis zu deiner Pensionierung“, erinnert sich Scheuermann, der bei Amtsantritt eine baulich in die Jahre gekommene Schule vorfand. Fast hätte der Schwiegervater Recht behalten. Ganze Abiturjahrgänge kamen bei ihrer Abifeier regelmäßig darauf zu sprechen, dass man doch mit den Bauarbeitern auf „Du und Du“ sei. So wurde die Sanierung der KRS nahezu eine der Hauptaufgaben von Scheuermann, der sich über fast zehn Jahre mit Architekten und Bauleitern arrangieren musste – bei laufendem Schulbetrieb. Die Sanierung verschlang, getragen von der Stadt Hanau, letztendlich fast 16 Millionen Euro. Kaum ein Stein blieb auf dem anderen. Das Ergebnis kann sich am Ende sehen lassen. Die KRS hat sich dank eines engagierten Teams um Scheuermann von einem hässlichen Entlein in einen stolzen Schwan verwandelt. „Die Schüler müssen sich wohl fühlen können. Nur in einem gesunden Umfeld kann auch fruchtbarer Unterricht gelingen“, ist sich Scheuermann sicher. Dazu zählt auch der neue Schulhof, den er zusammen mit dem KRS-Förderverein nahezu in Eigenregie aus dem Boden gestampft hat.
Dass sich die Schülerinnen und Schüler an der KRS wohl fühlen, dafür sorgen auch der stete Ausbau und die Pflege des sportlichen, musikalischen, sprachlichen und naturwissenschaftlichen Angebots an der Schule, den Scheuermann mit vorangetrieben hat. Die KRS begeistert seit Jahren mit ihren großen Konzerten und Produktionen die Hanauer Stadtgesellschaft. Der Musikeraustausch mit Russland oder England gehört zum festen Repertoire der KRS. Und zur Freude des bekennenden FC-Bayern-München-Fans bringen ihm „seine“ Ruderer und Hockeyspieler fast regelmüßig goldene Bären aus Berlin mit. Die hat er auch stolz auf Ehrenplätzen aufgereiht. Denn Scheuermann hat sofort erkannt, dass die Förderung der persönlichen Neigungen seiner Schüler auch für ein gutes Schulklima sorgt. Dafür braucht es auch Freiräume, die Scheuermann seinen Schülern stets eingeräumt hat. „Noten sind beileibe nicht alles. Selbstbewusstsein entwickeln, Teamfähigkeit und soziale Kompetenzen fördern – das ist es auch, was den Spirit an unserer Schule ausmacht. Füreinander da sein, Verantwortung übernehmen – nur so kann ein vielfältiges Miteinander im demokratisch-humanistischen Sinne an der Schule gelingen“, ist sich Scheuermann sicher, der zudem auch stets auf die aktive Einbeziehung der Elternschaft gebaut hat.
Der scheidende Schulleiter hat aber nicht nur, wenn es denn sein musste, so manche Brücke zwischen Schülern und Lehrern bauen können. Auch auf dem internationalen Parkett wandelt er ganz sicher und baut stabile Brücken auf, „Netzwerken“, wie er das nennt. Schulpartnerschaften mit Italien, Großbritannien, Spanien, Frankreich, Russland, den USA, Togo, Israel und China – neben der Bärensammlerei das zweite große Steckenpferd von Scheuermann – hat er im Laufe seiner Amtszeit an der KRS angestoßen und mit Leben gefüllt. Die Ehrenbürgerschaft der Millionenstadt Taizhou in China mag als ein Beispiel dafür dienen. Dort hat man ihm sogar den roten Teppich ausgerollt, das chinesische Staatsfernsehen berichtet. Diese lebendige Verbindung hat im Übrigen auch dafür gesorgt, dass China 100 000 Masken und 50 000 Liter Desinfektionsmittel nach Hanau geschickt hat – Scheuermann hatte zuvor in der ersten Corona-Welle im Frühjahr Geld sammeln lassen zur Unterstützung für die chinesischen Bürger.
Scheuermann lässt zum 175jährigen Jubiläum der KRS im Jahr 2015 einen Bus der Hanauer Straßenbahn mit KRS-Motiven durch Hanaus Viertel fahren. Sowohl Daniela Schadt, die Lebensgefährtin des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck und ehemalige KRS-Abiturientin als auch der ehemalige Konzernlenker Dr. Jürgen Heraeus glänzen in bewegenden Reden während der großen Jubiläumsfeier. Da zeigt es sich wieder, das Netzwerk und die Brücken, die Scheuermann unentwegt aufgebaut hat: Die Schulleiter der Partnerschulen stehen vereint mit dem Kultusminister Ralph Alexander Lorz und weiteren ranghohen Vertretern aus Politik und Wirtschaft auf der Bühne des CPH.
Sein Engagement für die Stadt ist über alle Parteigrenzen hinaus anerkannt, auch wenn er sich aus persönlichen Gründen von der politischen Bühne verabschiedet. So äußert sich unlängst der ehemalige Schuldezernent von Hanau, Professor Dr. Ralf-Rainer Piesold anlässlich eines Informationsbesuches an der KRS: „Als ich 2005 die Karl-Rehbein-Schule erstmals als damaliger verantwortlicher Politiker besuchte, war die Situation noch trostlos. Es ist der Verdienst von Jürgen Scheuermann, dass er das Potential der Schulgemeinde und des Standorts erkannt und die Schule soweit gebracht hat“, stellt der ehrenamtliche Kreisbeigeordnete und ehemalige Wirtschaftsdezernent der Stadt Hanau fest und ergänzt: „Eine der größten Leistungen eines Schulleiters seit 75 Jahren“.
Langweilig wird es dem passionierten Tennisspieler im „Unruhestand“ bestimmt nicht, hat er ja beispielsweise noch den Vorsitz verschiedener Vereine inne. Als Erster Vorstandsvorsitzender agiert er im Verein „Hanau – Freundschaft mit Taizhou“ und im Trägerverein der Paul-Hindemith-Musikschule Hanau. Beide Institutionen sind eng mit der KRS verbunden. Tief verwurzelt ist er mit der Turngemeinschaft Hanau, dem Ruderclub Hassia, dem Tennis- und Hockeyclub Hanau und der IGHA. Kooperationen der KRS mit den traditionellen Hanauer Sportvereinen sind und waren Scheuermann immer eine Herzensangelegenheit. Dazu zählen auch gute Kontakte zur heimischen Wirtschaft wie beispielsweise Umicore, Evonik oder Heraeus.
Mit Jürgen Scheuermann verlässt nun ein Kapitän die Kommandobrücke des stolzen Schulschiffs „Rehbeinschule“, der seine 170-köpfige Besatzung und die rund 1920 Passagiere an Bord stets mit Umsicht, Vorausschau, Respekt und zupackendem Mut durch viele Untiefen und Stürme manövriert hat. „Vivat crescat floreat ad multos annos! – auf viele Jahre möge es leben, wachsen und gedeihen“ steht am Ende seiner Rehbein-Homepage-Vorstellung zu lesen. Der Kapitän jedenfalls verlässt ein gut bestelltes Schiff, dass noch viele Jahre stolz auf den schulischen Weltmeeren unterwegs sein dürfte. A propos reisen: Scheuermann will zusammen mit seiner Frau Christine noch so manchen entlegenen Winkel des Erdballs entdecken. So wird der „Ruhestand“ vermutlich doch ein „Unruhestand“, denn auch der große Abschiedsbahnhof soll im Sommer erfolgen.
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